SIMULACRA EX SPECULIS
Performance und Ausstellung
im MuseumsQuartier in Wien
2018
Bevor sich die Polizei auf die Suche nach dem unbekannten
Täter macht, bildet sie den Unbekannten ab - auf einem Phantombild. Die Polizei gibt jedem Fall ein Gesicht und tastet sich damit an das Unbekannte, das Fremde, das Befremdliche heran.
Seit den frühen 90er Jahren verwendet Gerhard Lang ein altes Phantombildgerät, die Minolta Montage Unit[1], des Bundeskriminalamtes in Deutschland. Mit dessen besonderer Spiegel-Montagetechnik erzeugte die Polizei aus bis zu vier Gesichtsaufnahmen von Inhaftierten ein neues Gesicht, das Phantombild. Auf Anfrage von Cathrin Pichler[2] und Roman Berka vom museum in progress kommentierte Gerhard Lang im Jahr 2000 die erste rechtskonservative Regierungskoalition zwischen der ÖVP (Österreichische Volkspartei) und der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) in Wien. Mit der Minolta Montage Unit erstellte Lang daraufhin das Phantombild Die Regierung (Bild XIII), das in der Wiener Tageszeitung Der Standard veröffentlicht wurde. Für dieses Phantombild verwendete Gerhard Lang Pressephotos der für diese Koalition maßgeblich verantwortlichen Politiker: Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) und der Vorsitzende der FPÖ Jörg Haider (www.mip.at/projects/transact).
Die Performance Simulacra ex speculis[3] wie die gleichnamige Ausstellung fanden im Schauraum Angewandte statt, der nicht zugänglich war. Das Publikum verfolgte das Geschehen durch zwei Glaswände. Zu Beginn der Performance betrat Gerhard Lang den Raum mit einem Spazierstock und verriegelte die Tür. Mit dem Stock in der rechten und einem Mikrophon in der linken Hand tastete Lang den Raum ab, indem er ein Mal durch den Raum ging und dabei mit dem Stock eine unsichtbare Linie entlang der Mauern, der Glaswände und eines Regalvorhanges zog. Die entstehenden Klänge wurden über das Mikrophon zu einem außen installierten Lautsprecher übertragen. An der Stelle, wo die gezeichnete unsichtbare Linie auf ihren Ausgangspunkt traf, legte Lang den Stock, den Handgriff nach unten gerichtet, vorsichtig auf dem Boden ab, sodass die Zwinge des Stockes weiterhin die unsichtbare Linie berührte.
Das Mikrophon wurde anschließend neben dem Phantombildgerät platziert, um damit die bei der Phantombilderstellung entstehenden Klänge aufzuzeichnen. Kurz darauf schaltete Gerhard Lang die Minolta Montage Unit ein und setzte das erste Phantombild aus Photographien von Menschen- und Tiergesichtern zusammen (Bild X). Es folgte ein Wolkenphantombild (Bild XI). Danach wurde die Montage Unit ausgeschaltet. Beim folgenden Phantombild verzichtete Lang auf jegliche Bildvorlagen. Stattdessen blieben die Bildschächte offen, wo normalerweise die Bildvorlagen an das Gerät gesetzt werden. Durch diese Öffnungen drangen jetzt Ausschnitte des umgebenden Raumes in das Gerät ein. Daraus resultierte ein Phantombild eines anderen, unbekannten Raumes mit desorientierenden Eigenschaften.
Im nächsten Augenblick setzte Lang den Tisch mit der Montage Unit in Bewegung, was das Phantombild zum Laufen brachte. Nach einer Drehung von etwa 180 Grad ließ Lang den Tisch stehen. Das in dieser Position entstehende Phantombild (Bild XII) wurde während der Dauer der Ausstellung live auf den Monitor übertragen, wie auch das Mikrophon bis zum Ende der Ausstellung alles aufzeichnete. C. N.Abbildungen:
Abb. I: Während der Erstellung des ersten Phantombildes
Abb. II-IV: Beim Abtasten des Raumes
Abb. V: Unmittelbar nach dem Abstellen des Stockes, dessen Handgriff nach unten zeigte, während die Zwinge weiterhin die unsichtbare Linie berührte
Abb. VI-VII: Beim Mischen der Phantombilder
Abb. VIII-IX: Durch die Drehung des Tisches wurde das Raumphantom in Bewegung gesetzt. Das sich beim Anhalten des Tisches ergebende Phantombild, wurde bis zum Ende der Ausstellung live gesendet. (Bild XII)
Abb. X: Erstes Phantombild
Abb. XI: Zweites Phantombild
Abb. XII: Das mit Ausschnitten des umgebenden Raums erzeugte Phantombild, siehe Anmerkung zu den Bildern VIII und IX oben
Abb. XIII: Phantombild Die Regierung (Detail der Veröffentlichung in der Wiener Tageszeitung Der Standard am 6. Juli 2000)
Abb. XIV: Die Ausstellung mit dem live gesendeten Raumphantom (Monitor) und rechts mit dem auf die Glasscheibe projizierten Film Phantombilder (1992/97). Zur Ausstellung gehörte auch das Phantombild Die Regierung (Bild XIII), von dem links angeschnitten die schwarze Rückseite des Rahmens zu sehen ist.
[1] Die Minolta Montage Unit war ursprünglich für die plastische Rekonstruktion von Gesichtern von Hiroshima Opfern gedacht. Ab den 70er bis Mitte der 90er Jahre kam das Gerät bei der Fahndungsarbeit der Polizei in den Vereinigten Staaten und in Deutschland zum Einsatz.
[2] Cathrin Pichler war eine österreichische Forscherin, Kunstvermittlerin und Ausstellungsmacherin. Mit Jean Claire kuratierte sie 1995 Identity and Otherness, die zentrale Ausstellung der Biennale in Venedig.
[3] Mit der Performance Simulacra ex speculis wurde die gleichnamige Ausstellung am 28. Februar 2018 um 19 Uhr eröffnet. Die Ausstellung war vom 1. März bis zum 28. April zu sehen.
Kuratoren: Ruth Schnell und Tommy Scheider
Aufbau: Johannes Kunböck und Luke Williams
Photos I,IV und Video Stills II, III, V, VI, VII, VIII, IX: Gebhard Sengmüller
Photo XIV: Gerhard Lang
Post Production: Stefan Daub
Danke:
Q21 MuseumsQuartier
Universität für Angewandte Kunst
Lucius und Annemarie Burckhardt Stiftung
Edith und Hans Fritz Lang
Wolfgang Lang
Helmut Aebischer
Eva Dertschei
Katharina Hillenbrand
Christina Lammer
Peter Lutz
quintessenz
Martin Reinhart
Volker Schreiner
SpringerParker
Herwig Turk
Tom Westerdale
Stephan Weyer-Menkhoff
I. II. III. IV. V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.